Die Meinung am Freitag, 12.9.2014, von Karen Stroink

Ich meine, es sollte bei solch beinah niedlichen Beleidigungen bleiben: „Marie Louise, mir ist jetzt eine Erkenntnis gekommen, Du bist eine Bissgurke...“.

12.09.14 –

Ich meine, es sollte bei solch beinah niedlichen Beleidigungen bleiben: 

„Marie Louise, mir ist jetzt eine Erkenntnis gekommen, Du bist eine Bissgurke...“

Marie war vergangene Woche wieder einige Tage in der Ukraine. Dieses Mal in den östlichen Regionen des Landes. Wie immer postete sie auf Facebook, gab unmittelbar ihre Eindrücke und Gespräche wieder. Notizen aus erster Hand. Inzwischen hat sie rund 6.800 Follower auf ihrer Seite. Wir als Team freuen uns über so viele Interessierte, zeigt es doch, dass viele ihre Arbeit verfolgen. Wir freuen uns auch über die Kommentare, denn die machen deutlich, dass sich die Menschen mit ihrer Politik, ihrer Herangehensweise an die Politik auseinander setzen und sie im besten Fall unterstützen. Normalerweise erreicht Marie mit einer solchen Nachricht rund 3.000 Menschen. Je nach Tagesaktualität sind es auch mal 6.000. Am vergangenen Wochenende hingegen erreichte ihre Notiz aus Charkiw innerhalb kurzer Zeit über 23.000 Menschen. Ein Grund zur Freude, sollte man meinen.

Dieses Mal nicht. Denn es hagelte Kritik einer ganz besonderen Art. Ich spreche in diesem Fall besser von einer Flut wüster Beleidigungen und Beschimpfungen. Hier ein paar Beispiele: 'übelste Kriegstreiberin weltweit', 'grüner Teletubby', 'Kinderf….' (der Verfasser hatte das Wort ausgeschrieben.), 'Hexe', 'Zionisten-Bitch', 'Faschist'.

 Beim genauen Hinsehen und Prüfen der jeweiligen Facebook-Profile fallen mir vier Kategorien auf: 

1.       Die professionellen Internetnutzerinnen und -nutzer, die sich, einmal von uns gesperrt, innerhalb kurzer Zeit mit neuem Namen anmelden und weitermachen. Diejenigen, die eine durchaus ernstzunehmende Drohung aussprechen und ihr Konto daraufhin wieder löschen. Vermutlich, um am nächsten Tag wieder ein neues Fake-Konto anzumelden. So bin zumindest ich nicht in der Lage, die Drohung zurück zu verfolgen. Wenn ich mir die Mühe mache, mir solche Profile anzuschauen, stelle ich fest, dass sie kaum Spuren hinterlassen - keine persönlichen Angaben, keine Fotos, keine Freunde. Meist sind sie erst seit kurzem angemeldet. Ihr Profilfoto eine Maske. Es kommt auch vor, dass sie Argumentationen und Links untereinander teilen. Nur so kann ich mir erklären, dass Kommentare und Links gleich mehrfach auf Maries Seite auftauchen. Sind sie so gut miteinander vernetzt? Oder steckt jeweils die gleiche Identität dahinter? Eine gesteuerte Kampagne? Dieser Aufruf, auf Maries Seite einen Shitstorm auszulösen, lässt letzteres vermuten: 'Bock auf ein Bisschen Politik Satire? Dann geht mal auf die Site von Marieluise Beck… Die Kindersex Befürworter in Höchstform,Anti Putin und Russland Hetze vom feinsten. Ach ja sie hat gesagt es ist in ordnung wenn ihr ihr eure Meinung dazu an ihre Fanpage Tapeziert. Have fun'

2.       Putins Trolle: Das aus Russland gesteuerte System ist inzwischen gut bekannt. Hunderte von ihnen schreiben im Akkord für eine PR Agentur in St. Petersburg und werden für jeden einzelnen Fake-Account und Störer-Post in sozialen Netzwerken und Nachrichtenportalen bezahlt. Der Tenor dieser Kommentare: der Maidan sei das Werk amerikanischer Geheimdienste, Putin der 'Beschützer', Europa die Geisel des amerikanischen Imperialismus, die ukrainische Regierung ein Instrument von Faschisten. Hinter diesem Apparat steckt der Unternehmer Jewgenij Prigoschin, mit dem Spitznamen 'Putins Koch'. Ein alter Kumpel des russischen Präsidenten.

3.       Dann gibt es die Provokateure, die stundenrund, häufig nachts, destruktiv bloggen. Wieder und wieder. Auch noch alte Posts vergangener Tage kommentieren. Sich an Verschwörungstheorien beteiligen und ihren Frust ablassen. Das sind reale Menschen. Die sich hoffentlich weiterhin in ihrer virtuellen Welt verstecken und ihre Drohungen nicht wahrmachen: 'Marieluise Beck lass dich bloß nie in MV sehen den dann ergeht es dir sehr schlecht du Hetzerin!'

4.       Der Sexismus. Eine Form der Beleidigung, wie es nur Frauen erfahren. Die oben erwähnte 'Bissgurke' ist ja eher harmlos. Marie als 'Kammerzofe Poroschenkos' zu bezeichnen ist schon eine Steigerung. Oder hier, aus der Feder einer Frau:  'sie sehen nicht einmal weiblich aus mit ihrem Buben Schnitt und machen einen auf harte Alte widerliche Kriegsbefürworterin'. Sexismus unter Frauen.

Diese Flut an unzähligen stillosen, unsachlichen, rüden Kommentaren verfolgt das Ziel, Leserinnen und Leser zu desinformieren und Marie wie auch andere Putin-KritikerInnen einzuschüchtern. Was den KommentatorInnen in dieser Woche - bezahlt oder nicht - auf jeden Fall gelungen ist: Sie haben den an einem ernsthaften Austausch Interessierten die Lust aufs Schreiben genommen. Wer mag sich schon in eine solch destruktive Welle hineinbegeben? Nur Vereinzelte. Sie versuchen, die Störer argumentativ zu erreichen. Damit wird zwar garantiert niemand umgestimmt, uns als Team hingegen tut es gut, Unterstützung zu erfahren: 'Sehr geehrte Frau Beck. Als Sie beschlossen, die Lage in den umkämpften Gebieten zu schildern, wussten Sie vermutlich, wie heftig der Shitstorm der Putinjünger werden würde. Halten Sie durch, meinen Respekt haben Sie. Und passen Sie dort gut auf sich auf!'

Wir haben eine ganze Reihe beleidigender und unsachlicher Beiträge gelöscht und manche Profile blockiert. Einige haben wir aber auch mit Absicht stehen lassen, um zu dokumentieren, was sich zurzeit politisch und gesellschaftlich aber auch digital verändert.

Nicht alle sind anonym und nicht alle sind virtuell. Es gibt auch wütende Menschen, die sich nicht scheuen, ihre Identität preiszugeben und ein Stück näher heranrücken. Sie wenden sich per Email an uns. Einer von ihnen geht einen Schritt weiter als die Provokation und droht:  'Frau beck, gesindel wie sie würde ich am liebsten an einer wand sehen, eine schubkarre pflastersteine menschen die wüßten was zu tun ist gäbe es genug, ich wär dabei.'

Wir haben diese Woche auf Maries Facebook-Seite eine Netiquette eingerichtet. Wenn auch Ihr Erfahrungen macht mit Anfeindungen, Beleidigungen welcher Art auch immer - vielleicht möchtet Ihr unsere Bedingungen für eine kontroverse, aber faire Debatte übernehmen. Sie zeigen – zu unserer eigenen Überraschung - große Wirkung.

Karen Stroink ist Mitglied aus der Neustadt und Mitarbeiterin von Marieluise Beck.