Die Meinung am Freitag, 12.9.2014, von Robert Hodonyi

Ich meine, dass die Europäische Union die Anliegen und Bedenken ihrer Bürger_innen ernster nehmen sollte. Die  Ablehnung der Europäischen Bürgerinitiative (EBI) „Stopp TTIP“ durch die Kommission ist kein Zeichen für mehr Transparenz und Beteiligung.

12.09.14 –

Ich meine, die Europäische Union sollte die Anliegen und Bedenken ihrer Bürger_innen ernster nehmen. Die  Ablehnung der Europäischen Bürgerinitiative (EBI) „Stopp TTIP“ durch die Kommission ist kein Zeichen für mehr Transparenz und Beteiligung.

In den „Politischen Leitlinien für die nächste Europäische Kommission“ (2014-2019), die der designierte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker auf der Plenarsitzung des Europäischen Parlaments im Juli 2014 vorgestellt hat, wird ein „neuer Start für Europa“ versprochen.

Ganz oben auf der Agenda Junckers steht die Überwindung der Kluften, die während der Wirtschafts- und Finanzkrise in Europa entstanden sind, die Zurückgewinnung des Vertrauens der Bürgerinnen und Bürger und damit verbunden eine „Union des demokratischen Wandels“. Er wolle keinen „technokratischen, sondern einen politischen Dialog“ führen. Auch im Wahlkampf hatte Juncker sich für mehr Bürgerbeteiligung eingesetzt.

Der politische „Neustart“ dürfte Juncker durch eine der quasi letzten Amtshandlungen  der (noch) amitierenden EU-Kommission gründlich verhagelt worden sein:  Europaweit hat die formale Ablehnung der EBI gegen die internationalen Handels- und Investitionsverträge TTIP (USA) und CETA (Kanada) großes Unverständnis und tiefe Besorgnis ausgelöst.

Die Ablehnung begründet die Kommission damit, dass die Verhandlungsmandate zu TTIP und zum CETA keine Rechtsakte seien, sondern interne Vorbereitungsakte zwischen den EU-Organen. Diese könne eine Bürgerinitiative nicht anfechten. „Würde die Rechtsauffassung der Kommission Bestand haben, hieße das im Klartext: Der Bevölkerung sind bei der Entwicklung internationaler Verträgen jeder Art die Hände gebunden – eine Auskunft, die ebenso erschreckend wie skandalös ist“, kommentiert das Bündnis „Stopp TTIP“, in dem sich über 230 Organisationen aus ganz Europa zusammengeschlossen haben.

Man muss die Einschätzung von „Stopp TTIP“ in ihrer Absolutheit nicht teilen, denn es wird unter anderem auch aus Bremen versucht, zum Beispiel über den Bundesrat Einfluss auf die Verhandlungen zu nehmen und schließlich hat das Europäische Parlament auch noch ein Wörtchen mitzureden.

Aber politisch klug für die Legitimation solch weitreichender Freihandelsabkommen ist es mit Sicherheit nicht, wenn Zivilgesellschaft und NGOs von Verhandlungen aus formalen Gründen ausgeschlossen werden, während Industrie- und Wirtschaftslobbyisten sich die Klinke in die Hand geben. Demokratische Aufbruchssignale sehen anders aus. Zudem wird auch das Instrument der EBI für mehr Mitbestimmung auf europäischer Ebene in der öffentlichen Wahrnehmung zukünftig als ein sehr stumpfes Schwert erscheinen und die Ablehnung der sehr breit getragen EBI „Stopp TTIP“ zusätzliche antidemokratische Ressentiments gegen Europa schüren.

Dass es bei TTIP nicht nur um Chlorhühnchen und Klonfleisch geht, haben wir Grüne auch in Bremen mehr als deutlich gemacht. Es drohen die Absenkung von Standards im Umwelt- und Verbraucherschutz sowie bei den Arbeiternehmerrechten. Die Einführung von Investor-Staats-Verfahren könnten dem Bund und den Kommunen teuer zu stehen kommen. Demokratische Mitbestimmungsrechte der Parlamente werden ausgehebelt.  

Das Großkonzerne von diesen undemokratischen Klagerechten rege Gebrauch machen, zeigte nicht zuletzt die Klage von Vattenfall im Jahr 2009 gegen Auflagen der Hamburger Umweltbehörde bei der Betriebsgenehmigung für das Kohlekraftwerk Moorburg. Der Handelsexperte Thomas Fritz kommt in einer aktuellen Studie für „Campact“ zu dem Ergebnis, dass TTIP und CETA nicht nur soziale und ökologische Standards auf kommunaler Ebene gefährden, sondern auch  Rekommunalisierungen erschweren und öffentliche Dienstleistungen unter Druck setzen könnten (hier die  Studie http://blog.campact.de/wp-content/uploads/2014/09/Campact_TTIP_vor_Ort.pdf). Er plädiert dafür, dass auch die Kommunalpolitik sich viel stärker als bisher mit den geplanten Abkommen und seinen Folgen für die öffentliche Daseinsfürsorge, Diestleistungen, Subventionen etc. auseinandersetzen müsse.

Die Kommission (und letztlich auch der Europäische Rat, der der Kommission ja das aktuelle Verhandlungsmandat erteilt hat) verpasst durch die Ablehnung der EBI „Stopp TTIP“ eine große Chance, einen breiten Dialog mit der Zivilgesellschaft zu führen, der durchaus das Potential hätte, eine Debatte über die Zukunft der Europäischen Union zu starten, „nicht technokratisch, sondern politisch“, um mit Juncker zu sprechen. Denn gerade die gemeinsamen europäischen Standards im Umweltschutz, beim Verbraucherschutz und in vielen anderen Bereichen zeigen auch, dass es in und an Europa sehr viel zu verteidigen gibt. Auch das sind gute Argumente gegen Populisten und Europaskeptiker von der AfD bis zum Front National, die am liebsten zurück zum Nationalstaat wollen. 

Juncker, der nicht gerade als entschiedener Gegner von TTIP gilt, muss jetzt zeigen, dass seine Ankündigungen für mehr Beteiligung und Demokratie mehr wert sind als das Papier auf dem sie stehen. Er sollte diese Entscheidung der Kommission im Interesse der europäischen Demokratie korrigieren. Auch in Bremen sollten wir den Druck auf die Verhandlungen aufrechterhalten und uns als Grüne am europäischen Aktionstag gegen TTIP und CETA am 11. Oktober 2014 beteiligen.

Robert Hodonyi ist Sprecher des Kreisvorstandes Bremen-Mitte/Östliche Vorstadt.