Die Meinung am Freitag, 14.11.2014, von Matthias Güldner

Ich meine, dass, angesichts von 25 Jahren Mauerfall, Beiträge wie die von Bundespräsident Gauck, Wolf Biermann und anderen zeigen, wie sehr die Ereignisse von damals die Deutschen noch emotional bewegen.

14.11.14 –

Ich meine, dass, angesichts von 25 Jahren Mauerfall, Beiträge wie die von Bundespräsident Gauck, Wolf Biermann und anderen zeigen, wie sehr die Ereignisse von damals die Deutschen noch emotional bewegen. Zu Recht. Deshalb ist es wichtig, diese Debatten mit Leidenschaft zu führen. Ausschließliche Fixierung auf die Vergangenheit, oder gar rückwärtsgewandter Hass, bringen die Deutschen aber kein Stück weiter. Nicht nur die „geteilten" Koreaner, sondern die ganze Welt schaut auf uns, wie dieses Experiment gelingt.

Zunächst zu Wolf Biermann: In der DDR eine der mutigsten Stimmen, freiheitsliebend, querdenkend, sperrig und kantig: also genau das, was es brauchte, einen spießig deutschen Verwaltungssozialismus zur Verzweiflung zu bringen. Diese Leistung kann ihm keiner nehmen. Eine andere Rolle im dann wiedervereinigten Deutschland konnte oder wollte Biermann nicht finden. Das ist schade. Betätigungsfelder für kritische Geister gibt es genug. Kritische Geister nicht. Der verbale Ausbruch im Bundestag hat nicht dazu beigetragen, Biermann im zukünftigen Deutschland eine wichtige Rolle zuzuschreiben. Er hat mit seinen sprachlich und inhaltlich diskriminierenden und diffamierenden Worten vielleicht noch Wendehälse und Rechtfertigungsakrobaten wie Gregor Gysi und einige Altvordere in der Linken getroffen. Dennoch fragt man sich als Beobachter der Szenerie, warum sich der Gewerkschaftssekretär aus Stuttgart, Bernd Riexinger, der sich in seinem Sprengel in den 90er Jahren um heute noch geltende vertragliche Vereinbarungen zwischen Beschäftigten und Arbeitgebern in kommunalen Krankenhäusern der Stadt verdient gemacht hat, quasi als „politischer Abschaum" bezeichnen lassen muss. Denn das hat Biermann ja wohl gemeint. Nun muss man Riexinger politisch nicht folgen – bei der langen Reihe seiner abwegigeren Positionen würde das auch sehr schwer fallen. Aber das Ausmaß der Beschimpfung verletzt doch eher die Gefühle nicht nur der Linken, sondern auch vieler politisch neutraler BeobachterInnen. Biermann hat sich zweifelsfrei um das Zustandekommen, aber mit diesem Auftritt ganz gewiss nicht um die heute gelebte Einheit verdient gemacht.

Und dann war da noch der Bundespräsident: Ich gehöre zu den Menschen, die es grundsätzlich falsch finden, dass dieser oder jener dieses oder jenes nicht sagen soll oder darf. Die Gedanken sind zwar frei, richtig frei werden sie erst, wenn man sie auch aussprechen kann. Das gilt in vielen politischen Situationen: Kritik an der Justiz? An der Kirche? Politische Selbstkritik, wenn irgendetwas schief gelaufen ist? Kritische Debatten innerhalb von Parteien und Koalitionen? Ja warum denn nicht! In diesem Sinne kann es auch für ein Staatsoberhaupt, wenn überhaupt, auch nur sehr lockere Regeln für seine politische Aussagefähigkeit geben. Alle, die ihm in der Frage der Regierungsbildung in Thüringen das Wort verbieten wollen, liegen meiner Meinung nach völlig falsch. Inhaltlich muss sich Gauck dann natürlich auch Rückfragen gefallen lassen. Das ist das Wesen der von ihm so geschätzten Debatten. Was macht Thüringen angesichts von Jahren rot-roter Koalition in Brandenburg so bedeutend? Nur der Linke Ministerpräsident? Ist dadurch eine Linie überschritten, die durch die von den WählerInnen verursachte Anwesenheit der Linken in Politik, Parlamenten und Regierungen nicht berührt war? Gauck hat eine – in seinem Fall sehr nachvollziehbare – Befindlichkeit ausgedrückt. Das war in Ordnung. Als politische Kritik vor der Präsentation eines rot-rot-grünen Koalitionsvertrages und vor ersten Ergebnissen dieses Bündnisses geht sie ins Leere.

Alles in allem bleibt für mich die Konsequenz, Kritik an der Linken nicht durch Verbalinjurien, nicht nur pauschale Verteufelungen, sondern stets inhaltlich und programmatisch an der Sache zu führen. Erstens können das Menschen – zu Recht – viel eher nachvollziehen und akzeptieren. Zweitens gibt es da so viele Positionen, mit denen man sich politisch anlegen kann, und kann sich den unsachlichen Rest getrost sparen.