Die Meinung am Freitag, 15.09.2017, von Ralph Saxe

Diese Woche schreibt Ralph Saxe darüber, dass sich unser Land in einem prekären ökologischen Ungleichgewicht befindet.

14.09.17 –

Ich meine, dass sich unser Land in einem prekären ökologischen Ungleichgewicht befindet.

Die Hiobsbotschaften häufen sich: Stürme und Unwetter nehmen bei uns und weltweit deutlich spürbar zu. Wirbelstürme verwüsten ganze Inseln und Städte. Die Erderwärmung schreitet weiter voran. Der Meeresspiegel steigt. Die Verschmutzung und Erwärmung der Meere wird nicht nur viele Korallenriffe verschwinden lassen. Wir sind schlecht vorbereitet auf eine andauernde Klimakrise an deren Anfang wir erst stehen. Die Bundesregierung hat in fast allen umweltpolitischen Feldern versagt. Die Großkoalitionäre schweigen hartnäckig. Diese Ignoranz kommt einer Leugnung nahe.

Der Spiegel titelte „Sommer der Stille“ und beschreibt einen dramatischen Artenschwund in Deutschland. Durch das Insektensterben werden auch andere Tiere in Deutschland weniger. Der Bestand des Kiebitz sank gegenüber 1990 um 76 Prozent, der des Braunkelchen sank um 65 Prozent. Schuld daran ist der Verlust an Lebensräumen. Tiere und Pflanzen werden vergiftet durch Glyphosat oder die hochproblematischen Neonicotinoide. Das Bienen- und Hummelsterben bringt das ökologische Gleichgewicht noch mehr ins Wanken. Naturschutz spielt in der Agrarindustrie eine untergeordnete Rolle. Bis auf die wackere Bundesumweltministerin blieb die Bundesregierung blass bis untätig. Von einer Agrarwende und einem entschlossenen Umstieg in eine biologische Wirtschaftsweise kann kaum die Rede sein. Erzeugt wird in der Massentierhaltung eine Nahrung, die zuweilen hoch riskant ist. In einer groß angelegten Untersuchung enthielten mehr als die Hälfte von Hähnchenproben antibiotikaresistente Keime.

Der Umstieg auf erneuerbare Energien wurde entschlossen ausgebremst. Die Deckelung der Offshore-Industrie schadet den klimapolitischen Zielen. Sie hat auch unserem Wirtschaftsstandort in Bremerhaven und Bremen enorm geschadet. Die Solarbranche wurde in die Krise getrieben. Stattdessen wurde die Kohle weiter gepampert. Wie eine schwarz-gelbe Energiewende aussieht, kann man sich bestens in Nordrhein-Westfalen ansehen.

Besonders anschaulich kann man Anspruch und Wirklichkeit der selbsternannten Klimakanzlerin im Bereich der Mobilität beobachten. Die CO2-Emissionen im Verkehr stiegen in den vergangenen Jahren sogar an. Eine Kumpanei mit der Automobilindustrie führte in den größten deutschen Industrieskandal der Nachkriegsgeschichte. Softwaremanipulationen gefährden die Gesundheit von vielen Tausenden Menschen und betrügen Millionen von AutokäuferInnen. Die Aufklärung wurde systematisch verzögert. Eine Wiedergutmachung durch Politik und Industrie fand außer einigen Placebos nicht statt. Der Einstieg in die Elektromobilität ist zudem ein beispielloser Flopp gewesen. Stattdessen haben wir aber jetzt die Murks-Maut. Der von der Emissionsmenge besonders kritische Bereich der Schiffsemissionen wurde nur ausgesprochen zögerlich angegangen. Ein Land wie Norwegen macht uns auch dort vor wie es geht. Keine Neuzulassungen von Autos mit fossilen Energieträgern ab 2025 ist dort beschlossene Sache. In Deutschland stöhnen schon alle auf, wenn wir dies als Grüne für 2030 anstreben. Die erste Hauptstadt mit einer autofreien Innenstadt wird Oslo werden.

Die Frage, ob es fünf vor oder fünf nach zwölf ist, scheint mir eher akademisch zu sein. Vermutlich ist es deutlich nach zwölf. Wir können aber Schlimmeres verhindern. Wir brauchen eine Verkehrswende. Zu einer Agrarwende gibt es nur die Alternative, dass die Sommer dann totenstill würden. Der Umstieg auf erneuerbare Energien muss viel konsequenter und entschlossener betrieben werden. Sonst kann das auch mit der Verkehrswende nicht klappen. Ohne starke Grüne nach der Bundestagswahl sieht es für diese Politikfelder düster aus. Hier werden aber die Weichen für unsere Zukunft gestellt.

Bleibt mir noch ein letzter Gedanke. Da der Klimawandel kommt und unser Leben gravierend verändern wird, müssen wir unser Land und besonders die Städte auf seine Folgen vorbereiten. Außer vielleicht im Bereich Hochwasserschutz bemerke ich eine verantwortungslose Tatenlosigkeit. Klimaanpassungsstrategien hätten schon längst konsequent angegangen werden müssen. Geradezu absurd mutet es für mich an, wenn Teile der Politik auch in Bremen, Kleingartengebiete oder Frischluftschneisen bebauen wollen. Die Grünflächenweiterentwicklung ist der Schlüssel für Klimaanpassung. Bauen ohne ausreichende Dach- oder Fassadenbegrünung darf nicht mehr sein. Außer bei uns Grünen ist auf diesem Feld die beängstigende Konzeptlosigkeit verstörend.Zukunft wird aus Mut gemacht: Darum Grün.