Die Meinung am Freitag, 16.12.2016, von Hermann Kuhn

Ich meine, dass der Fall von Aleppo uns wenigstens zum selbstkritischen Nachdenken führen muss.

15.12.16 –

Ich meine, dass der Fall von Aleppo uns wenigstens zum selbstkritischen Nachdenken führen muss.

Aleppo ist (fast) gefallen, die Menschen im Ostteil werden getötet oder vertrieben, die Stadt in Schutt und Asche gelegt. Assad und Putin sind am Ziel, und sie werden diesen Sieg als Ermutigung sehen, Syrien bis auf das letzte Dorf wieder unter ihre Kontrolle und ihre Gewaltherrschaft zu bringen, bis im ganzen Land im wahrsten Sinne des Wortes Friedhofsruhe herrscht. Dieser Sieg Assads war nicht denkbar ohne die schiitischen Militärs direkt aus dem Iran und unter iranischer Kontrolle (Hizbollah). Er wäre nicht möglich gewesen ohne das massive militärische Eingreifen Russlands. Die Bombardierung von Krankenhäusern, der Abwurf von Fassbomben, der Einsatz selbst von Giftgas, bewusstes Aushungern: All das sind Kriegsverbrechen Assads gegen das eigene Volk, für die Putins Russland und der Iran die politische Mitverantwortung tragen.

Und wir? Wir haben zugeschaut und dann hilflos und voller Scham weggeschaut. Haben immer wieder auf Gespräche gehofft, die Putin nur der Vorbereitung seiner nächsten Luftangriffe dienten. Haben auf den UN-Sicherheitsrat gesetzt, um erleben zu müssen, dass Russland und China jedes Eingreifen zugunsten der Menschen in Syrien durch ihr Veto blockierten. Haben uns an den Satz geklammert: „Es gibt keine militärische Lösung in Syrien“, weil wir keine gesehen und mit sicher guten Gründen für uns ausgeschlossen haben. Das Problem aber, dem wir uns stellen müssen, ist: Assad und Putin sind da ganz anderer Meinung. Für sie gibt es eine militärische Lösung, und sie haben sie auch erfolgreich herbeigeführt. Welche Lehre wird Putin daraus ziehen und welche wir?

Unsere Hilflosigkeit und unser fehlendes Interesse am Schicksal des syrischen Volkes haben wir bemäntelt mit dem Hinweis, dass die Lage so unübersichtlich sei; und unser schlechtes Gewissen beruhigt mit der Empathie für die syrischen Flüchtlinge. Und viele werden insgeheim gedacht haben, dass die USA schon handeln würden (um sie dann dafür zu kritisieren). Sie haben aber nicht gehandelt; weder als die Lage noch vom demokratischen Aufstand gegen die Diktatur Assads geprägt war; noch als Assad die „rote Linie“ des US-Präsidenten überschritt, und auch nicht, als die humanitäre Versorgung der Menschen aus der Luft noch möglich gewesen wäre – allerdings mit Risiko verbunden.

Aber es nützt uns nichts, über die neue US-Außenpolitik zu klagen. Was in Aleppo geschehen ist, ist eine Schande für die gesamte westliche Welt, für Europa. Wir müssen wenigstens darüber nachdenken, wie es dazu kommen konnte, und was wir in Zukunft selbst tun wollen. „Wir denken an Euch!“ Das ist ehrenwert, aber viel zu wenig für die Menschen in Aleppo.

Hermann Kuhn

Kategorie

Frieden/Internationales