Die Meinung am Freitag, 1.8.2014, von Zahra Mohammadzadeh

Ich meine, das Betreuungsgeld darf nicht erhöht, sondern muss abgeschafft werden!

01.08.14 –

Ich meine, das Betreuungsgeld darf nicht erhöht, sondern muss abgeschafft werden! Wir haben es seit langem gesagt, und die Studie des Deutschen Jugendinstituts in Zusammenarbeit mit der Universität Dortmund hat es jetzt wissenschaftlich belegt: Das Betreuungsgeld trägt zur Bildungsungleichheit bei. Nicht nur unterliegt seine Inanspruchnahme sozialen Selektionsmechanismen, sondern es ist damit selbst ein Faktor sozialer Aussonderung. Die Dortmunder Ergebnisse unterstreichen, dass das Betreuungsgeld sozial eher benachteiligten Familien einen besonderen Anreiz bietet, „kein Angebot frühkindlicher Bildung, Betreuung und Erziehung zu nutzen. Das Betreuungsgeld erweist sich für Familien besonders attraktiv, die eine geringe Erwerbsbeteiligung aufweisen, eher als bildungsfern beschrieben werden können und einen Migrationshintergrund haben.“ Abgesehen von der Fragwürdigkeit der pauschalen Zuordnung "bildungsfern" - was nützt also der Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz, wenn gleichzeitig politisch und finanziell massiv auf Eltern eingewirkt wird, auf die Einforderung dieses Rechtsanspruchs zu verzichten?

Ohnehin ist der Rechtsanspruch nur die eine Seite der Medaille. Vor allem sind es Zugangsbarrieren, die verhindern, dass Eltern mit Migrationshintergrund ihre Kinder in die Obhut einer Kindertageseinrichtung geben. Obwohl in Bremen in Bezug auf die multikulturelle Zusammensetzung des Kita-Personals schon viel erreicht wurde, fehlen noch an vielen Stellen qualifizierte Migrantinnen und Migranten. Es muss noch mehr dafür getan werden, Schulabsolventen mit Migrationshintergrund zur Aufnahme eines Studiums des Lehramts oder der Sozialpädagogik zu ermutigen und eine spätere Arbeitsaufnahme zu ermöglichen. Daneben dürfte interkulturelle Kompetenz nicht nur ein strapaziertes Allerweltswort sein, sondern müsste endlich mit Leistungs- und Qualitätsstandards versehen auf sekundären und tertiären Bildungsebenen fachlich verankert werden. Auch Einheimische brauchen sie, ebenso wie die MigrantInnen. Mit mehrsprachiger Kompetenz (und das heißt nicht einmal automatisch mehrsprachigem Personal) würde der Zugang zu Eltern leichter. Warum sieht man in Ausschreibungen von Stellen im Vorschulbereich nicht den Zusatz z.B.: "Türkischkenntnisse von Vorteil"? So lange wirkliche interkulturelle Kompetenz des Personals, bezogen auf die jetzt häufig schon bestehende und noch wachsende Mehrheit der zu betreuenden Kinder keine fühlbaren Fortschritte macht, wird es bei migrantischen Eltern weiterhin an Vertrauen in die pädagogische Arbeit mangeln. Vor dem Hintergrund der nicht immer mit Samthandschuhen geführten öffentlichen Debatte um die Priorität "christlicher Werte" in dieser Gesellschaft befürchten nicht wenige Eltern, dass ihre Kinder schon in der Tageseinrichtung ungewollten pädagogischen Einflüssen ausgesetzt sein könnten.

All dies sind Faktoren, die einem Ansatz interkultureller Öffnung nicht fremd sein dürften – wenn man diese ernst meint. Dazu gehört weiterhin, dass ernsthaftere Anstrengungen zu mehr Elternbeteiligung unternommen werden. Auch wenn das angesichts der allgegenwärtigen Sprach- und sonstigen Kommunikationsprobleme wahrlich keine leichte Aufgabe ist. Es ist im Grunde ähnlich wie bezüglich der Frauen mit Migrationshintergrund: die integrative, inklusive Gesellschaft darf sich mit der Gefahr von Isolierung, Unterdrückung durch Familienstrukturen und Vorenthaltung von Partizipation- und Bildungsmöglichkeiten nicht arrangieren oder gar abfinden. Ganz zu schweigen von dem groß angelegten Versuch – denn so lässt sich das Betreuungsgeld auch deuten – Anspruchsberechtigte durch Geldzahlungen von der Wahrnehmung ihres Anspruches abzubringen. Ab dem heutigen Freitag (1. August) wird das Betreuungsgeld sogar noch auf 150 Euro erhöht. Das muss uns alle motivieren, auf Abschaffung dieses skandalösen Beitrags zu Bildungsbenachteiligung und Ausgrenzung zu dringen.