Wir meinen, dass...

...Grüne Politik auch immer eine Politik der anderen Sichtweise ist. Ein gemeinsames Papier zum grünen Selbstverständnis zur Lage in der Ukraine von Michael Pelle Pelster (KV Kreisfrei Landesvorstand), Gudrun Eickelberg (KV Nordost), David Mohr (Grüne Jugend), Brunhilde Wilhelm (KV Kreisfrei), Jens Hirschberg (KV Kreisfrei).  

21.03.14 –

Wir meinen, dass Grüne Politik auch immer eine Politik der anderen Sichtweise ist.

Ein gemeinsames Papier zum grünen Selbstverständnis zur Lage in der Ukraine von Michael Pelle Pelster (KV Kreisfrei Landesvorstand), Gudrun Eickelberg (KV Nordost), David Mohr (Grüne Jugend), Brunhilde Wilhelm (KV Kreisfrei), Jens Hirschberg (KV Kreisfrei).

In vielen Konflikten in der Welt können wir wirtschaftliche Interessen, politische und ethnische Konflikte, Hegemonialansprüche und historische Erbschaften als Ursachen ausmachen. Unsere schematische Aufteilung der Welt in die Guten und die Bösen ist schon lange gescheitert. Vielfach schauen wir ohnmächtig zu. Ob in Zentralafrika, im Nahen Osten oder in Latein- und Mittelamerika. Wir kennen kaum noch die Konfliktlinien, die Konfliktparteien, wissen trotz oder gerade wegen der weltweiten Vernetzung nicht mehr zu unterscheiden zwischen Wahrheit und Fälschung, und uns fällt es schwer, sich zu positionieren. Nur wenn einer der beiden Großmächte im Spiel ist, funktioniert unser altes Gut-Böse-System wieder. Ein System, das eine lange Tradition in der politischen Linken in Deutschland hat.

Daher stehen für uns Grüne zuallererst die Menschen im Vordergrund. In unseren Grundsätzen und Parteitagsbeschlüssen reden wir daher auch von friedlichen Interessensausgleichen, von Friedenssicherung und Kriegsverhütung. Und wir treten für das Selbstbestimmungsrecht der Menschen ein. Und da wird es schon wieder schwierig. Wie kann das Selbstbestimmungsrecht durchgesetzt werden? Die Vorgänge auf der Krim sind zu verurteilen. Die Akzeptanz für die faktische Annexion der Krim mit Hilfe der russischen Regierung durch führende Personen in der Linkspartei finden wir beschämend.

In der letzten Meinung am Freitag vertritt der Hermann Kuhn die Ansicht, das wir bezüglich der „rechtswidrigen Annexion eines Teils des Staates der Ukraine“  mit „nicht-militärischen Mitteln antworten müssen…..auch wenn sie uns wehtun“. Welche dies sind, wird nicht erwähnt. Warum sie uns wehtun könnten, auch nicht. Wir empfinden dieses einerseits als westliche Überheblichkeit und Arroganz. Andererseits werden Ängste geschürt. Wenn hier nicht die Mittel erwähnt werden, über die man streiten könnte, halten wir diese Äußerungen für politisch höchst gefährlich. Grüne Diplomatie sieht anders aus – sie setzt auf Gespräch und Verhandlung. Stattdessen wird gewarnt vor einem Rückfall in das „20.Jahrhundert von Einflusssphären“ mit Grenzziehungen, die wieder der Aufteilung des Hitler-Stalin-Paktes entsprechen würden. „Die EU ist nicht eine solche Einflusssphäre“ und daher sei das wohl auch die Lösung, so Hermann.

Bei aller Liebe unsererseits zu Europa, zur westlichen Demokratie und zu unserer politischen Geschichte: soweit würden wir nicht gehen. Natürlich ist die EU eine Einflusssphäre. Ihre Ausstrahlung ergreift den Osten Europas, ihr wirtschaftliches Potential dringt in neue Märkte und das Zusammenleben vieler Völker aus vielen Staaten mit freier Presse und Sprache, freiem Grenzverkehr und weitgehend Frieden ist ein hohes zu verteidigendes Gut. 

Jedes Land, jedes Volk muss seinen Weg frei und ohne Fremdbestimmung entscheiden können. Das anerkennt auch Hermann und nennt die Tschechoslowakei. Es gibt viele Möglichkeiten, Konflikte innerhalb einer Staatengemeinschaft zu regeln, ob in Katalonien, im Baskenland, in Südtirol, bei den Samen oder Sorben. Gewalt taugt nie als Mittel.

Wenn wir aber für das Selbstbestimmungsrecht der Völker sind, müssen wir dann die Bewegungen bedingungslos unterstützen? Hermann Kuhn, Marie-Luise Beck und andere bemühten bei verschiedenen Treffen nicht nur ihre eigenen politischen Vergangenheiten, indem sie auf ihre bedingungslosen Unterstützungen der Völker Indochinas, des südlichen Afrikas oder Mittelamerikas verwiesen, und dass die Folge diktatorische und tödliche Regime von Pol Pot, Robert Mugabe oder Daniel Ortega waren. Müssen wir das als Folge des Selbstbestimmungsrechtes der Völker akzeptieren? Wir meinen ja, aber man muss es nicht politisch auch noch unterstützen. Der Bundesvorstand der Grünen warnt vor den Rechten und Rechtsradikalen in der ukrainischen Protestbewegung. Nein, schlimmer, sie sitzen noch mit am Regierungstisch.

Zurück zur Ausgangslage: eine andere Sichtweise heißt genau hinschauen, heißt vorsichtig abwägen, heißt keine vorschnellen Schlüsse ziehen. Es gibt über die sozialen Medien einen breiten Aufruf vieler Grüner nach Besonnenheit und Klugheit in der augenblicklichen Lage. Dort wird darauf verwiesen, dass Grüne früh vor den Konsequenzen einer negativen Entwicklung der russischen Gesellschaft unter Putin gewarnt haben. „Grüne stehen auf der Seite des Friedens und der Freiheit. Unsere Seite ist nicht die des Nationalismus, weder die Seite Putins, noch die der Gruppe der Rechten in der Ukraine,“ so der Aufruf. Und weiter: “Unsere Perspektiven waren und sind das Völkerrecht, der Einsatz für die Stärke des Rechts anstatt des Rechts des Stärkeren, die Abrüstung, die zivile Konfliktprävention, die Ablehnung des Krieges als Mittel der Politik. Wenn wir bis jetzt, wie viele andere auch, noch nicht mit einer Stimme sprechen konnten, so ist dies darauf zurückzuführen, dass zur Zeit noch niemand sehr viel zur Lösung des Konflikts und zum Zurückdrehen der Konfrontationsspirale zu sagen hat“.

Im Klartext: Wir unterstützen die demokratischen Bewegungen in der Ukraine und verurteilen zutiefst die Politik der russischen Regierung. Wir wünschen uns, dass die Demokratiebewegung stark genug ist, sich auch früher oder später von den Ultrarechten und Faschisten in den eigenen Reihen und der Übergangsregierung zu trennen. Es wäre unvernünftig, jetzt den Druck auf Russland soweit zu erhöhen, dass es zu einer Spaltung der Ukraine kommen könnte. Die russischen Pläne, die zur Destabilisierung der Ukraine führen, verurteilen wir auf das Schärfste. Wir wünschen uns, dass alle Menschen in der West- und Ostukraine, auf der Krim und im Baltikum sicher leben können.

Hermann befürchtet, dass viele Menschen "im Osten" leben, denen "man russische Pässe in die Hand drücken kann und die dann um Hilfe rufen? Und in Lettland und Estland, und und?“.  Ja, es leben viele russische Minderheiten in den baltischen Staaten, in der Ostukraine und anderswo. Es gibt in der Ukraine und auf der Krim Menschen, die nach Europa oder nach Russland schauen. Es wäre zu einfach, allein Desinformation, Gewalt und Unterdrückung, staatliche Gängelung und politische Einflussnahme als verantwortlich für die augenblickliche Entwicklung auszumachen. Jedes Land, jedes Volk hat seine Geschichte. Jedes Land, jedes Volk muss frei entscheiden können, welchen Weg es gehen möchte.

Kategorie

Frieden/Internationales