Die Meinung am Freitag, 22.1.2016, von Hermann Kuhn

Ich meine, …… dass „Mainstream“ kein guter, sondern ein gefährlicher politischer Maßstab ist.

21.01.16 –

Ich meine, …
… dass „Mainstream“ kein guter, sondern ein gefährlicher politischer Maßstab ist.

Henrike Müller hat in ihrer persönlichen Bilanz am vergangenen Sonntag gesagt, „wir sind nicht Mainstream und wir sollten es auch nicht sein wollen“. Sie hat dafür von der Versammlung viel Beifall bekommen. Ich halte diesen Satz für inhaltsleer, aber für gefährlich. Warum?

„Mainstream“ ist ein vollkommen schwammiger, beliebig interpretierbarer und vollkommen unterschiedlich gebrauchter Begriff (vor allem heute von anderen als „linksliberaler Mainstream“, womit SPD und Grüne gemeint sind). Waren die Grünen nun z. B.  „Mainstream“, als wir Merkels Flüchtlingspolitik im September 2015 unterstützt haben? Und hätte uns das davon abhalten sollen, weil wir auf keinen Fall „Mainstream“ sein wollen und als Grüne sein dürfen? Sind wir „Mainstream“, wenn Grüne eine Verschärfung des Strafrechts bei Sexualdelikten (aller Männer) fordern? Sind wir „Mainstream“, wenn wir weiter auf Erneuerbare Energien setzen? Was ich mit diesen Beispielen sagen will: „Mainstream“ oder nicht, das ist kein geeignetes Kriterium für ein politisches Urteil. Kriterium für Vorschläge und Entscheidungen der Grünen sollte sein, ob sie eine angemessene Lösung für Probleme der Realität sind, und zwar umsetzbar und nachhaltig (und deshalb auch unseren Grundüberzeugungen entsprechen); oder eben nicht.

„Wir sind kein Mainstream, nie und nimmer“: So ein Satz hat noch zwei andere gefährliche Folgen. Er macht uns unfähig, mit unseren Erfolgen zu wuchern, etwa beim Beispiel der Energiewende. Diese Erfolge haben wir ja nur gehabt, weil wir unsere Politik so angelegt haben, dass sie grundsätzlich (wenn es auch oft lange gedauert hat) auch mehrheitsfähig war. Dass wir uns davon abwenden sollten, wenn und weil wir die Mehrheit überzeugt haben („Mainstream“ geworden sind) – das leuchtet mir nun überhaupt nicht ein.

Und schließlich: Wir sind nicht zufällig Regierungspartei. Das heißt, wir kämpfen darum, dass unsere Vorschläge in der Koalition mehrheitsfähig sind. Und wir machen Gesetze und Politik allgemein für die ganze Stadt, nicht für unsere Wähler. Sie muss nicht jedem gefallen; aber wir machen sie in der Überzeugung, dass unsere Vorschläge und Regeln grundsätzlich zum Wohl aller sein können.

Für mich klangen deshalb diese Sätze Henrikes nach einem – vielleicht verständlichen, aber gefährlichen – Seufzer, sich mal wieder in das wohlige Gehäuse einer kleinen und sauberen Weltanschauungspartei zurückziehen zu wollen.