Die Meinung am Freitag, 24.05.2013, von Jan Brüning

Ich meine, dass es gerechtfertigt ist, AutofahrerInnen zwei Minuten warten zu lassen, wenn dafür Menschen, die durch eine Brücke „behindert“ werden, wieder am Leben teilnehmen können. Also: Pro einer Ampel über die Richard-Boljahn-Allee.

24.05.13 –

Ich meine, dass es gerechtfertigt ist, AutofahrerInnen zwei Minuten warten zu lassen, wenn dafür Menschen, die durch eine Brücke „behindert“ werden, wieder am Leben teilnehmen können. Also: Pro einer Ampel über die Richard-Boljahn-Allee.

Einige von uns und unserer WählerInnen mögen nun die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und sich fragen: Warum? Warum setzt Ihr – der Beirat Vahr – Euch für eine Ampel ein, wo doch schon eine Brücke besteht? Und das, wo Ihr doch schon bei den anderen drei Ampeln (eine in der Vahr, zwei in Schwachhausen) medial so auf den Deckel bekommen habt? Zudem in einem so wichtigen Wahljahr!

Ich will es erläutern.

Die Richard-Boljahn-Allee, die eine Verbindung zwischen Oberneuland, der A27 und der Kurfürstenallee herstellt und damit auch ein wichtiges Bindeglied zwischen „Buten“ und „Binnen“ ist, zerteilt die Vahr und bildet eine physische und soziale Barriere zwischen dem Ortsteil Neue Vahr Nord (Einwohner: ca. 7.800, davon ca. 3.000 über 50 Jahre jung) und dem wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Zentrum des Stadtteils, der Berliner Freiheit. Dort befinden sich ein Einkaufszentrum, das Bürgerzentrum Neue Vahr, eine Filiale der Stadtbibliothek, ein Wochenmarkt, Treffpunkte für Kinder und Ältere und noch viel mehr.

Über die Richard-Boljahn-Allee gibt es in dem betreffenden Abschnitt drei Brücken: Die größte und für Autos nutzbare liegt direkt an der Berliner Freiheit, eine liegt gefühlt in Oberneuland, die dritte liegt fast mittig zwischen diesen beiden, jedoch näher an der A27.

Das reicht doch!

Nein, das reicht nicht – zumindest dann nicht, wenn man einen Rollstuhl nutzt, einen Kinderwagen schiebt, der Rollator einen stützt oder sonstige Einschränkungen die Beweglichkeit behindern. Keine der Brücken ist barrierefrei, besonders die letzten beiden sind es nicht einmal im Ansatz. Heute würde für sie niemals eine Bauerlaubnis erteilt werden.

Und doch wird erwartet, dass die EinwohnerInnen der Neuen Vahr Nord zurückstecken und sich dem externen Autoverkehr beugen.

Nicht, dass es in dem Ortsteil nicht schon genug Probleme gibt: Die Arbeitslosigkeit ist hoch, der Bildungsgrad unter dem Durchschnitt, die finanziellen Mittel sind es noch mehr. Viele Menschen sind auf staatliche Unterstützung angewiesen, dazu zählt auch die Integration der hier neu Angekommenen und besonders ihrer Kinder.

Eine Ampel wird diese Probleme sicherlich nicht lösen.

Sie trägt aber sehr dazu bei, Menschen überhaupt erst wieder am (gesellschaftlichen) Leben teilhaben zu lassen. Denn dies ist bislang behindert. Nicht, weil viele der dort lebenden Menschen „behindert sind“, sondern weil sie durch Brücken behindert werden. Sie sind gar nicht oder nur eingeschränkt barrierefrei.

Behindert sein, älter sein – oder behindert werden, älter gemacht werden?

Dem Anblick einer älteren Frau, die im Regen unter Mühen ihren Wocheneinkauf – im Ortsteil gibt es keine Nahversorgung mehr – über die Brücke schleppt, gebunden an einen Rollator, kann ich nichts, aber auch gar nichts Positives abgewinnen.

Natürlich müssen wir abwägen zwischen Menschen, die es nicht oder unter Mühen über die Brücken schaffen und Menschen, die vielleicht ein oder zwei Minuten vor einer roten Ampel warten müssen.

Meine Abwägungen und die des Beirats sind eindeutig. Wir Grüne, die SPD und die CDU haben uns einstimmig für diese Ampel ausgesprochen. Wir und die SPD haben vorher Unterschriften gesammelt. 90 Prozent der an den Brücken angesprochenen AnwohnerInnen haben sich dabei für eine Ampel ausgesprochen.

Wir hoffen, dass auch die Deputation dieser Entscheidung folgt.

Anmerkung: Bei einem Ortstermin am 8. Mai haben sich Joachim Lohse, Herr Dr. Steinbrück (Landesbehindertenbeauftragter), Herr Schwolow (Vorsitzender der Landesseniorenvertretung) und mehrere VertreterInnen des Vereins SelbstBestimmt Leben die Gegebenheiten angeschaut.

Einhelliges Echo: So, wie es heute ist, kann es nicht bleiben. Eine Ampel ist die Lösung, die am wenigsten neue Behinderungen verursacht und Geld kostet und dabei den Menschen in der Vahr Nord doch Teilhabe am Leben ermöglicht.

VertreterInnen des ADAC und der Handelskammer waren leider nicht dabei.

Wer die Situation vor Ort nicht kennt, sich aber selbst ein Bild machen möchte, kann sich gern an mich wenden: gruene.jan@remove-this.gmail.com

Jan Brüning ist Sprecher des Fachausschusses Bau, Verkehr und Umwelt in der Vahr.


Zur Meinung als pdf!

Kategorie

Sozialpolitik | Verkehr