Die Meinung am Freitag, 25.08.2017, von Anja Stahmann

Diese Woche schreibt Anja Stahmann darüber, dass das Thema Pflege uns alle angeht.

24.08.17 –

Ich meine, dass das Thema Pflege uns alle angeht.

Mit der Aktuellen Stunde, die von Kirsten und der Fraktion initiiert sowie gemeinsam mit der SPD am Mittwoch in der Bürgerschaft eingebracht wurde, haben wir den Fokus auf das wichtige Thema Pflege gelenkt.

Unsere Messlatte an funktionierende Pflege ist, die Selbstbestimmung und die Würde der Menschen auch im hohen Alter zu erhalten. Daran muss sich Pflege ausrichten. Gelingen wird dies nur, wenn die Versorgung im Alter als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden und als solche weiterentwickelt wird.

Wir alle wollen in unseren Quartieren alt werden und möglichst lange in den eigenen vier  Wänden gut leben. Die Planung  muss sich daran ausrichten. Es gilt, Barrieren abzubauen. In den Quartieren brauchen wir eine Struktur, die ein breites Spektrum von Angeboten bereithält - von der Nachbarschaftshilfe über Soziale Dienste bis hin zu unterschiedlichen ambulanten Betreuungsangeboten. Sie müssen so vernetzt sein, dass möglichst jede und jeder eine passgenaue und an den eigenen Bedarfen ausgerichtete Lösung finden kann. Auch den Weg vom ambulant betreuten Wohnen zu Hause hin zu einer Pflegeeinrichtung für Hochbetagte gilt es gut zu gestalten.

Selbstverständlich spielt auch die Ausgestaltung der Pflegeberufe eine zentrale Rolle. Wenn Menschen durchschnittlich nur 13 Jahre im Pflegeberuf arbeiten, dann ist dies ein deutliches Zeichen dafür, dass wir etwas ändern müssen. Die Belastung ist enorm und dabei ist die Bezahlung nicht immer entscheidend. Viele stecken in der Teilzeitfalle. Überbordende Vorgaben binden Kraft und Energie, technische Möglichkeiten werden nicht immer genutzt. Auf der anderen Seite ist das Berufsbild nur bedingt attraktiv. Mit der generalistischen Ausbildung, einer Ausbildung für alle Pflegeberufe, wollen wir einen wichtigen Schritt gehen, daran etwas zu ändern. Ein weiterer muss sein, dass wir mehr Personal in der Pflege haben. Personal das es zurzeit oft leider nicht gibt.

Unsere Antwort ist in dieser Situation jedoch nicht, die Anforderungen an den bisherigen Fachkraftschlüssel zu reduzieren. Schließlich würden wir ja auch nicht auf die Idee kommen, dass nur 50 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer eine entsprechende Qualifikation aufweisen müssten oder in einem Handwerksbetrieb nur noch die Hälfte der Mitarbeitenden angemessen ausgebildet ist. Ziel muss es sein, noch stärker für den Beruf zu werben, um mehr Menschen - nicht zuletzt auch mehr Männer - für den Beruf zu gewinnen.

Gemeinsam haben wir in den letzten Jahren einiges in Bremen erreicht:

Wir haben 2012 die erste „Bremer Pflegeinitiative“ mit 12 Beteiligten gestartet. Bei der zweiten Erklärung 2017 sind nun schon 27 Unterzeichner zusammengekommen. Zu unseren Erfolgen zählt dabei: die Schaffung eines Ausbildungsfonds, ein mit dem Jobcenter initiiertes Qualifizierungsprogramm und mehr Ausbildungsplätze in der ambulanten Pflege. Die Zahl der Ausbildungsplätze wurde von 50 auf 250 erhöht. Die Angebote der „Aufsuchenden Altenarbeit“ haben wir verstetigt und bauen sie weiter aus.

Wichtige Stellschrauben müssen aber auf Bundesebene reguliert werden. Das Gesundheitssystem muss künftig breiter aufgestellt werden. Die von uns Grünen geforderte Bürgerversicherung ist hier ein wichtiger Schritt. Die derzeit sprudelnden Gewinne der Krankenkassen von über 1 Milliarden Euro jährlich sollten zur Stärkung der Pflege eingesetzt werden. In den letzten Jahren hat die Ärzteschaft viel für sich erkämpft. Jetzt müssen wir die Pflegenden in den Fokus rücken.  Forderungen nach Pflegekammern sind ein Indiz dafür, dass sich viele Menschen ihre Wünsche für eine gute Versorgung im Alter nicht ausreichend berücksichtigt sehen.  Zur Wahrheit gehört aber auch, dass gute Pflege ihren Preis hat. Einen Preis, den die Leistungsfähigen heute schon zahlen und den wir als Sozialstaat dort leisten müssen, wo es die Menschen nicht alleine können. Sonst werden wir am Ende eine Mehrklassenpflege haben, bei der eben nicht die Würde des Menschen Leitmotiv ist.

Im Herbst werden wir nach einem umfangreichen Diskussions- und Beteiligungsprozess die Novelle des Bremischen Wohn- und Betreuungsgesetzes in der Bürgerschaft debattieren.

Das Gesetz bringt viele Verbesserungen u. a.

·         einen verbesserten Gewaltschutz durch verbesserte Kontrollrechte der Wohn- und Betreuungsaufsicht,

·         die Stärkung des Beteiligungsrechts von Betroffenen,

·         Ausbau einer kultursensiblen Pflege.

Die Novelle hat aber auch das Nachdenken über einen besseren Betreuungsschlüssel in den Nachtdiensten begleitet. Der Arbeitsmarkt ist leergefegt. Die Vorgabe, ab sofort einen Betreuungsschlüssel von 1:40 oder gar 1:30 umzusetzen, würde ins Leere laufen. Deshalb haben wir einen Stufenplan vorgeschlagen, der sukzessive und gemeinsam mit allen Trägern bis 2020 umgesetzt wird. Dann werden wir überprüfen, wie die Situation sich entwickelt hat, wo und wie es weitere Verbesserungen geben soll. 2020 wird es dann erstmals endlich auch bundesweit ein wissenschaftlich fundiertes Verfahren zur einheitlichen Personalbemessung in Pflegeeinrichtungen geben.

Unser Ziel ist, dass alle Menschen, die auf Pflege angewiesen sind, gut versorgt werden. Die Selbstzahler sollen dabei nicht schlechter gestellt werden.