Die Meinung am Freitag, 27.09.13, von Hermann Kuhn.

Ich meine, dass der Wahlausgang Anlass zu selbstkritischem Nachdenken ist, aber kein Grund zum Flügelschlagen.

27.09.13 –

Ich meine, dass der Wahlausgang Anlass zu selbstkritischem Nachdenken ist, aber kein Grund zum Flügelschlagen.

Dass führende Personen unserer Partei nach der Wahlniederlage der Grünen am Sonntag persönliche Konsequenzen gezogen haben, ist gut. Respekt. (Aber auch ein Verlust, das soll man nicht vergessen.) Aber natürlich ist das nicht die Analyse und nicht die Beseitigung der Ursachen. Diese Ursachen sind sehr vielschichtig und taugen jedenfalls nicht für einen neuen Aufguss der längst überkommenen „Realo/Fundi“-Geschichten.

Auch deshalb sollten wir nicht die objektiven Umstände nicht vergessen. Da ist die offensichtliche Stärke von Angela Merkel, die ja nicht nur uns, sondern auch allen anderen kleinen Parteien zu schaffen gemacht hat. Über diese Stärke ist schon viel gesagt worden. Ihr Kern is ihr Umgang mit dem Sicherheitsbedürfnis der Menschen in einem „bedrohten Paradies“. Ja, vielen geht es im Blick auf die Welt rundherum ganz gut; aber viele spüren, wie schwankend der Boden immer noch ist. Da fährt Merkel auf Sicht. Das mögen wir nicht, aber es hatte Erfolg. Fast die Hälfte unserer verlorenen Stimmen ist an die CDU gegangen.

Zu den objektiven Ursachen gehört die in den Wochen vor der Wahl dahin schmelzende reale Machtperspektive einer rot-grünen Regierung. Wir haben daran festgehalten, dass Rot-Grün noch gewinnen kann; dazu gab es zu dem Zeitpunkt auch keine Alternative. Aber je näher die Wahlentscheidung kam, desto mehr haben sich die Wähler mit der Frage beschäftigt, was sie denn als zweitbeste Lösung wählen können, wenn es denn anders kommt. Und viele werden sich überlegt haben: Dann doch lieber eine stärkere SPD, wenn es eh zur großen Koalition kommt. Von 15% auf 8 % in den Umfragen sind wir in den letzten drei Wochen abgestürzt.

Bleiben mehr als genug Ursachen, die bei uns liegen, im Guten wie im nicht so Guten. Eine Bemerkung noch vorweg: Ich finde es sehr unangenehm, wenn sich jetzt frühere Parteivorsitzende zu Wort melden, die Kampagne ihrer Nachfolger sei „unterirdisch“ gewesen, alles Mist usw. Das verbietet schon der Anstand. Und es stimmt auch nicht.

Aber zu drei der meist genannten Fehler bei uns. Die „Pädophilie-Affäre“. Ich finde nichts Grundsätzliches daran auszusetzen, dass der Bundesvorstand ausdrücklich Wissenschaftler beauftragt hat, die den Grünen in keiner Weise nahe stehen, vermutlich sogar im Gegenteil. Fahrlässig aber war mit Sicherheit, dass wir uns nicht zeitgleich auf die Suche gemacht haben und dann mehrfach von „Enthüllungen“ gerade über das Führungspersonal überrascht wurden. Aber wir wollen die Aufklärung, dazu sollten wir weiter stehen. Es wird noch bittere Augenblicke geben, aber es ist der richtige Weg.

Der Veggie Day. Ganz unabhängig von seinem konkreten Inhalt gehört der entsprechende Satz zu den vielen Sätzen im Wahlprogramm, die überhaupt nicht in ein Programm zum Regieren der Bundesrepublik Deutschland gehören – lauter Sätze, die eher die Länder oder die Kommunen oder allgemeine Frage der Ethik und des Lebensstils betreffen. Die Passagen über die Massentierhaltung sind in der Analyse alle richtig, auch die Forderungen zur Regulierung und Einschränkung per Gesetz. Und wir wissen, dass für effektiven Tierschutz, Klimaschutz und Schutz der Gesundheit am Ende das individuelle Verhalten der Menschen eine wesentliche Rolle spielt. Aber was darf hier die Politik, was darf der Staat, was dürfen politische Parteien? Gerade wir Grünen, die wir diesen Schutz ernst nehmen, bewegen uns hier oft in einem noch nicht zu Ende erforschten Terrain. Für unsere Tast- und Gehversuche haben wir offensichtlich zum wiederholten Mal einen hohen Preis gezahlt. „Leben und leben lassen“: Ist das wirklich nur ein „neoliberaler“ Spruch?

Zuletzt die Frage der Steuerpolitik. Hier ist es wichtig, dieses Kind nicht mit dem Bad auszuschütten. Die Ideen, die sich dann im beschlossenen Programm niedergeschlagen haben, wurden vor einem Jahr zu Papier gebracht. Damals standen wir (wie viele andere) unter dem Eindruck der Finanz- und Schuldenkrise; nicht mal die FDP hat da noch von Steuersenkungen geredet, und die Zeitungen waren voll von Bekenntnissen auch reicher Menschen für einen starken und handlungsfähigen Staat (mit mehr Steuern); und das Gefühl, dass die besser Gestellten gut durch die Krise gekommen sind im Gegensatz zu anderen, war weit verbreitet (also Steuerentlastungen unten, Erhöhungen oben). Auf der BDK waren u.a. diejenigen für das Konzept, die (wie Bremen) dringend auf mehr Steuern angewiesen sind, und diejenigen, die im Sozialsystem und für Bildung mehr machen wollen. Diese Gründe bleiben ja bestehen.

War also grundsätzlich falsch, was wir beschlossen haben? Grundsätzlich nicht, aber in der Ausgestaltung: Viel zu detailliert, schwer erklärbar und öffentlich umdeutbar (z.B. die ja nur schrittweise und teilweise Veränderung des Ehegattensplitting wurde öffentlich immer als „Abschaffung“ beschrieben. Und wir haben nicht bedacht, dass sich viele Menschen selbst höher einordnen, als die Zahlen es hergeben, und sie sich deshalb auch dann von unseren Plänen betroffen und getroffen fühlten, wenn sie das längst nicht waren.)

Dadurch hatten wir vor allem keine Flexibilität mehr, um Schwerpunkte neu zu setzen, als sich die objektive Situation zu ändern schien. Als im Sommer die unmittelbare Präsenz der Schuldenkrise verblasste und die Steuereinnahmen „sprudelten“. In diesen Wochen schien unsere Programmatik nicht mehr in die Zeit zu passen. Damit komme ich am Ende zu einem ganz schwierigen Punkt, weil er unsere Tradition berührt: Ist unserer Weg, ein immer detaillierteres Programm aufzuschreiben, richtig, wenn sich die politischen Lagen und Stimmungen immer schneller ändern? Provokant gefragt: Wir mögen es nicht, wie Frau Merkel das macht. Aber gibt es nicht auch Gründe dafür?

Letzter Punkt die Energiewende. Natürlich kam sie gerade in Bremen im Wahlkampf sehr prominent vor. Aber ökologische Fragen haben Konjunkturen der emotionalen Bedeutung und Nähe; und da waren (sind) wir eher in einem Tief.

Auf die Frage, wie wir denn nun unsere Arbeit neu bestimmen sollten, kommen wir bald zurück.