Die Meinung am Freitag, 27.9.2013, von Karoline Linnert.

Ein Debakel, gefolgt von einem Scherbengericht und einem Erdrutsch, kleiner können wir nicht. Erst besoffen vom Hype neue Volkspartei zu sein und nun der Absturz mit Weltuntergangsstimmung und einer Abstrafung derselben grünen Menschen, die man vor wenigen Tagen noch mit stehendem Applaus bedacht hat. Es ist unbestreitbar, das Wahlergebnis gibt Futter für neue Gedanken und vielleicht auch Orientierungen, aber zum Wesen von neuen Gedanken gehört auch Zeit, zum Nachdenken eben.

27.09.13 –

Darf's auch ein bißchen weniger sein?

Ein Debakel, gefolgt von einem Scherbengericht und einem Erdrutsch, kleiner können wir nicht. Erst besoffen vom Hype neue Volkspartei zu sein und nun der Absturz mit Weltuntergangsstimmung und einer Abstrafung derselben grünen Menschen, die man vor wenigen Tagen noch mit stehendem Applaus bedacht hat. Es ist unbestreitbar, das Wahlergebnis gibt Futter für neue Gedanken und vielleicht auch Orientierungen, aber zum Wesen von neuen Gedanken gehört auch Zeit, zum Nachdenken eben.

Ich wage mal die These, dass wir weniger falsch als andere richtig gemacht haben. Oder deutlicher: wir haben verloren, weil andere besser waren. Es ist Merkels Sieg, und abgesehen davon, dass sie erfolgreich eine Politik der Entpolitisierung betreibt, stimmt es doch, dass Deutschland schon schlechtere Kanzler hatte und die real existierende Alternative Peer Steinbrück weder menschlich noch politisch eine verlockende Alternative war. Es ist jedenfalls ein Fehler, Angela Merkel zu unterschätzen, und zwar nicht nur insofern, dass man sie als typische männermordende Machtfrau darstellt und damit ihre politische Agenda nicht ausreichend ernst nimmt. Sie predigt nicht Verzicht und fährt selber mit einem dicken Auto herum wie Herr Paschedack, sie malt nicht permanent den Weltuntergang an die Wand, sondern gibt den Menschen das Gefühl, dass sie es schon hinbekommt, die anstehenden Probleme zu lösen, sie räumt unhaltbare Positionen ab, wenn der Druck zu groß wird (Energiewende, Homoehe), was ja immerhin besser ist, als beratungsresistent immer weiter auf toten Pferden zu reiten. Kurzum, leider wollten ziemlich viele in Deutschland, dass sie Kanzlerin bleibt. Fürs konservative Lager war es leicht, das bedeutet CDU wählen.

Fürs linke Lager war es schwieriger. Wer aber unter dieser Maßgabe, Angie bleibt Kanzlerin, noch möglichst viel Einfluß auf eine zukünftige Bundesregierung mit der letzten Hoffnung auf eine "große Koalition" haben wollte, der oder die wählte SPD. Unser Problem war, daß wir machtpolitisch keine Rolle mehr gespielt haben. Das ist ernüchternd und Hoffnung machend zugleich. Es fördert die am Ende doch tröstliche Erkenntnis, dass wir nicht alleine auf der Welt sind und immer in Relation zu den existierenden politischen Bedingungen uns bewegen und messen lassen müssen. Dass es kein allgemeingültiges Rezept und für alle Lagen gibt. Dass auch 16 Kretschmanns im Personalpool uns nicht die Macht in allen Bundesländern bescheren würde, wir trotz Pädophiliedebatte bei den nächsten Wahlen wieder mehr Stimmen bekommen können und dass sogar unser Spitzenpersonal, altes und neues nur Menschen sind, in guten und in schlechten Tagen.

Es geht mir nicht ums Verharmlosen, mehr um das richtige Maß. Es gibt viel Häme in den letzten Tagen. "Wie gut, dass ihr auch mal richtig einen auf den Deckel bekommen habt", so sind viele Kommentare. Das muß man aushalten können, wenn man selbst bei der Nachricht, dass die FDP aus dem Bundestag fliegt, in Jubel ausbricht. Dass hinter der Kritik, wir seien arrogant und würden anderen vorschreiben wollen, wie sie zu leben haben, mehr steckt, als das nachträgliche Rationalisieren einer schon getroffenen Wahlentscheidung nach Pressevorgabe, davon bin ich überzeugt. Die Erkenntnis, dass auch unsere politischen Positionen Ausdruck der Zugehörigkeit zu bestimmten Milieus sind, kommt bei uns zu kurz. Oder etwas grober formuliert: Antiraucherstrategien, Veggieday und Kampagnen fürs Fahrrad fahren sind richtig, können aber auch Ausdruck einer Strategie der bürgerlichen kulturellen Vorherrschaft sein. Daraus gibt es kein Entrinnen, was nicht weiter schlimm ist. Ärgerlich ist der Tenor der völlig ungebrochenen Absolutsetzung eigener Positionen, gerne garniert mit dem Weltuntergangs- also -nichtargument ohne Bewußtsein für die unsere Positionen bedingenden Einflüsse. Es gibt jedenfalls Menschen, die für so etwas ein Sensorium haben.

Entschieden wende ich mich gegen die Positionen, die die Öffnung der Grünen zu anderen als ökologischen Themen als Ursache für das Wahlergebnis ausmachen. Unsere Erfolge beim Thema Energiewende, Lärmschutz, Schutz von Wasser, Luft und Boden ergeben schon machttaktisch die Notwendigkeit, sich auch andere zentrale Themen anzueignen. Längst gelten wir als interessante Gesprächspartner vieler Branchen, die sich nachhaltigem Wirtschaften annähern. Unsere sozialpolitische Orientierung zugunsten der Ärmsten füllt eine Lücke, die andere gar nicht sehen können. Und es ist unverzichtbar, Geld für politische Vorhaben zu besorgen und das auch vor der Wahl zu sagen. Es ist viel schlimmer, für unglaubwürdig als für arrogant gehalten zu werden. Und wenn es denn doch so war, dass wir deswegen verloren haben, dann will ich lieber die Niederlage als dahin zu gehen, wo andere sind. Heute lockert sich die CDU in Richtung Steuererhöhungen, andere finden immer noch, dass ja genügend Geld auf der Bank liegt. Hier ist doch das Ende von Taktik, hier geht es um Überzeugungen, die nächste Wahl kommt bestimmt.