Die Meinung am Freitag, 31.5.2013, von Zahra Mohammadzadeh

Ich meine, dass Integration etwas mit Vertrauen zu tun hat.

31.05.13 –

Ich meine, dass Integration etwas mit Vertrauen zu tun hat.

„Was hat Integration mit Terrorismus zu tun?“ fragt Mirjam Schmitt im „NSU-Medienlog“ vom 10.5. 2013. Sie bezieht sich damit auf einen Kommentar in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, in dem die angebliche Integrationsunwilligkeit eines Teils der Muslime als ein Grund für islamfeindlichen Extremismus und Terror angeprangert wird. Die skandalöse Assoziation des Kommentators Jasper von Altenbockum ist allerdings nur die Spitze des Eisbergs: die von Deutschen gefühlte Mitverantwortung der Muslime, insbesondere der Menschen mit türkischem Hintergrund, für die NSU-Morde ist dieser Tage ein brandaktuelles (kein Wortspiel beabsichtigt) Thema an den Stammtischen.

KritikerInnen sind sich einig, dass man angesichts solcher Ungeheuerlichkeiten einmal mehr konstatieren muss, dass Integration und Integrationswilligkeit auch etwas mit Vertrauen zu tun haben. Man integriert sich bereitwillig nur in eine Gesellschaft, der man vertraut.

Aysen Tasköprü, die Schwester eines der von der NSU Ermordeten, hat jedenfalls kein Vertrauen mehr. Als sie die Einladung von Bundespräsident Gauck ablehnte, weil dieser keinen Anwalt als Begleitung zulassen wollte, schrieb sie an ihn:

„Ich habe auch keine Heimat mehr, denn Heimat bedeutet Sicherheit. Seitdem wir wissen, dass mein Bruder ermordet wurde, nur weil er Türke war, haben wir Angst. Was ist das für eine Heimat, in der du erschossen wirst, weil deine Wurzeln woanders waren? Alle Menschen kommen irgendwo her. Auch die Neonazis haben irgendwann als erste Menschen in Afrika angefangen. Wir haben eine Telefonkette und wenn jemand aus der Familie sich nicht meldet, sind wir alarmiert. Meine Mutter verlässt das Haus nur noch, wenn es überhaupt nicht zu vermeiden ist. Und nie allein. Mein Vater möchte die Familie am liebsten sofort in die Türkei bringen. Mein Vater und meine Schwester sind schon zusammengebrochen und mussten mit dem Notarzt ins Krankenhaus gebracht werden. Ich wurde drei Wochen auf eine Kur geschickt. Aber auch danach war in noch in so schlechter Verfassung, dass ich nicht auf meiner alten Arbeitsstelle arbeiten konnte. Mein Arzt hat festgestellt, dass ich so nicht arbeitsfähig bin. Die Krankenkasse hatte mich einbestellt und mir gesagt, ich soll meine Krankmeldung zurücknehmen; ich soll Urlaub einreichen. Als ich mich weigerte, bekam ich ein Schreiben, ich sei überhaupt nicht krank, der sozialmedizinische Dienst hätte mich als arbeitsfähig eingestuft. Allerdings haben die mich nie gesehen, geschweige denn mit mir gesprochen. Seitdem werde ich zwischen meinem Arbeitgeber, der auf einen Aufhebungsvertrag drängt, der Krankenkasse, die bezweifelt dass ich krank bin und der Arge, die meinen Aufenthaltsstatus wissen will, hin- und hergeschubst. Ich fühle mich unerwünscht.

Alles was ich noch möchte, sind Antworten. Wer sind die Leute hinter der NSU? Warum ausgerechnet mein Bruder? Was hatte der deutsche Staat damit zu tun? Wer hat die Akten vernichtet und warum?“

Während die Staatsanwaltschaft gegenüber der Presse beteuert, es gebe keine Hinweise auf eine Verwicklung deutscher Dienststellen in die Verbrechen, sehen viele das anders. Der Mangel an Vertrauen, der den NSU-Prozess auch bei nicht wenigen Beobachtern im europäischen Ausland begleitet, hat nicht nur etwas mit der abwertende Behandlung der Saalfrage und der Präsenz von BerichterstatterInnen zu tun. Zunehmend werden auch strafprozessuale Fehler zur Kenntnis genommen, die den Ausgang des Verfahrens in ein trübes Licht tauchen. So wurden Aufrufe in Kreisen von Neonazis, sich unter die Zuschauer des Münchener Prozesses zu mischen, offenbar von der Justiz nicht bemerkt. Karl-Heinz Stratzberger, ein rechtsextremistischer Straftaten überführter Neo-Nazi, war ebenso im Zuschauerbereich des Gerichtssaals anwesend wie Maik E., Bruder des Mitangeklagten André E. Letzteres wiegt schwerer, könnte es doch immerhin sein, dass Maik E. im weiteren Verfahren als Zeuge befragt werden muss.

Solche Vorzeichen, unter denen der vertagte Prozess holprig beginnt, schüren das nicht nur unter Migrantinnen und Migranten laut werdende Misstrauen gegenüber der Münchener Justiz. Sollte dies nicht behoben werden, geht mehr kaputt als nur ein vergeigtes Verfahren gegen eine rechtsradikale Mörderbande: das Vertrauen der großen Mehrheit Integrationswilliger und längst Integrierter in den deutschen Rechtsstaat.

Zahra Mohammadzadeh

 

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Kategorie

Innen/Recht | Migration, Integration, Asyl | Rechtsextremismus