Die Meinung am Freitag, 6.12.2013, von Zahra Mohammadzadeh

Ich meine, dass in der Integrationspolitik die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholt werden dürfen.

06.12.13 –

Ich meine, dass in der Integrationspolitik die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholt werden dürfen.

„In der Integrationspolitik dürfen die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholt werden", lautet einer der Kernsätze im integrationspolitischen Teil des Koalitionsvertrages für die neue Bundesregierung. Wie wahr! Aber leider machen die Berliner Koalitionäre genau das. Wie hat noch der sozialdemokratische Übervater Willy Brandt immer gesagt? Es gibt viel zu tun, packen wir's an. Der schwarzrote  Koalitionsvertrag macht deutlich, wie die moderne Version dieses Mottos bei Union und SPD lautet: Es gibt viel zu tun, lassen wir's liegen!

„Integration gestalten", heißt es dort, und dass die Zuwanderung als Chance gesehen werde. In Bezug auf die doppelte Staatsbürgerschaft wird die Chance vertan. Es bleibt beim geltenden Staatsangehörigkeitsrecht. Zwar soll der Optionszwang in Zukunft entfallen, jedoch nur für „in Deutschland geborene und aufgewachsene Kinder ausländischer Eltern". Nur bei ihnen wird die „Mehrstaatigkeit" akzeptiert. Sie können die doppelte Staatsbürgerschaft bekommen; ihre vor Jahrzehnten eingewanderten Eltern und Großeltern bleiben „Ausländer". Das ist mehr als halbherzig, es ist politische Feigheit. Und es betoniert zwei Rechtslagen in einer Familie ein. Während die Kinder Deutsche sind und bleiben, werden der Einbürgerung ihrer älteren Familienangehörigen Hindernisse in den Weg gelegt, die für Menschen mit engen Verwandten in den Herkunftsländern kaum überwindbar sind.

Stattdessen hätte man ihre Integrationsleistung würdigen und wertschätzen müssen, indem ihnen der Schritt zur Einbürgerung erleichtert wird. Und nicht nur die Integrationsleistung. Schließlich haben die Menschen, die seit den Fünfziger-Jahren als „Arbeitsmigranten  in deutschen Fabriken malochen, das damalige Wirtschaftswunder erst möglich gemacht und mit ihrer Arbeit Jahrzehnte lang bis heute dazu beigetragen, dass die Bundesrepublik ökonomisch an der Spitze Europas steht.

Schon der Begriff „Zuwanderung" ist ja eigentlich in der Achtziger- Jahren entstanden, um das Tabu-Wort Einwanderung nicht benutzen zu müssen. Überall bleiben die Vereinbarungen vage und unklar. Eine durchgehende Linie hin zu einer modernen Einwanderungspolitik ist nicht erkennbar. Wie will man die auch von einer Koalition erwarten, die drauf und dran ist, selbst im Straßenverkehr diskriminierende ausländerrechtliche Vorschriften einzuführen?

Die Integrationskurse sollen weitergeführt werden. Ihre Öffnung für Flüchtlinge, eine langjährige (nicht nur grüne) Forderung, ist nicht vorgesehen. Das „Miteinander von Migranten und Einheimischen" soll verbessert werden. Das ist reines Wischiwaschi, da keine konkreten Beiträge in Aussicht gestellt werden.

In einem Punkt wird der Koalitionsvertrag sehr konkret: bei der Abwehr der Menschen aus dem Balkan. Bosnien, Herzegowina, Mazedonien und Serbien werden als „sichere Herkunftsstaaten" eingestuft, um künftig Asyl suchende Roma aus dem Balkan problemlos und schnell abweisen zu können. Dabei belegen alle offiziellen Berichte der UN, der Menschenrechtskommission des Europarats und zahlreicher Hilfsorganisationen die systematische Verfolgung der Roma in diesen Staaten.

Dass Ausländerbehörden ihren „Dienstleistungscharakter" neuerdings in den Vordergrund stellen, stand sinngemäß bereits im Koalitionsvertrag von Schwarz-Gelb 2009. Folgenlos außer dort, wo sich Länder und Kommunen in eigener Zuständigkeit dahinterklemmten. Der Anteil der Migrantinnen und Migranten in Bundesbehörden soll nun endlich erhöht werden, „auf freiwilliger Grundlage" allerdings nur. Da auch dieses Ziel nicht neu ist, darf man – in Abwesenheit konkreter Vorgaben - gespannt sein, wie sehr es unter Schwarz-Rot greifen wird. Auch im Bildungsbereich klaffen hochtönende Absichtserklärungen und Realität auseinander.

Bis 2020 soll die Zahl der ausländischen Studierenden an deutschen Hochschulen um 85 000 auf 350 000 steigen, angesichts des Fachkräftemangels ein super Ziel. Nur müssten dafür die Bleibeperspektiven erheblich verbessert werden, sonst bleibt die Erhöhung Wunschdenken. Oder was meinen wohl die Koalitionäre, warum zwischen 2004 und 2012 die Zahl der ausländischen Studierenden lediglich um 19 000 stieg?

Das Stichwort Bleibeperspektive bietet die Möglichkeit, wenigstens ein gutes Haar am Koalitionsdokument zu lassen. Es soll eine alters- und stichtagsunabhängige Bleiberechtsregelung geben, und Asylsuchende sollen schon nach drei Monaten arbeiten dürfen. Beides lang ersehnte und geforderte Neuregelungen. Es bleibt zu hoffen, dass diese Neuerungen auch wirklich durchgeführt und nicht wieder verwässert oder auf die lange Bank geschoben werden. Das Beispiel des Mindestlohnes, der in letzter Konsequenz auf 2017 verschoben wurde, lässt Böses ahnen.

Alles in allem lässt sich der einwanderungs- und integrationspolitische Teil des Koalitionsentwurfes wie folgt zusammenfassen: irgendwie schon mehr Integration wollen sie. Aber nur das „irgendwie" bleibt unvermittelt im dichten Nebel stecken. Von dynamischem Gestaltungswillen kann keine Rede sein.

Kategorie

Migration, Integration, Asyl