Die Meinung am Freitag, 7.11.2014, von Henrike Müller

Ich meine, dass die gegenwärtigen Debatten um die Frage, wer darf was, wann und wo sagen, absolut überflüssig sind.

07.11.14 –

Du darfst!

Ich meine, dass die gegenwärtigen Debatten um die Frage, wer darf was, wann und wo sagen, absolut überflüssig sind. Bei der Lektüre der gängigen Presselandschaft und der sozialen Netzwerke durfte man sich in den letzten Wochen oft schwer wundern. Parallel zu den Dauerdoku's und den meist recht verkitschten Feierlichkeiten rund um das 25-jährige Jubiläum des 9. November 1989 werden fleißig Debatten darum geführt, wer was wann in einer Demokratie sagen darf oder eben nicht?

Die prominentesten Beispiele dieser Debatte sind Gauck und Biermann, aber auch Katrin Göring-Eckart, Cem Özdemir, Jürgen Trittin oder Simone Peter wurden in den letzten Wochen immer wieder – aus der Partei heraus – damit konfrontiert das sie diverse Einlassungen nicht hätten tun dürfen, weil sie nicht von der Partei gedeckt wären. Mann und Frau mache sich dieses Argument mal klar, wann ist eine Äußerung von der ganzen Partei gedeckt? Wenn das unser Maßstab ist, streichen wir bitte das Dauergedenken an den Freiheitsgewinn durch den 9. November 1989 und erwägen wöchentliche – ach, tägliche – Mitgliederentscheide, damit alle gewählten VertreterInnen wissen, in welcher Weise sie sich äußern dürfen.

Alle oben genannten gewählten (und abwählbaren!) VertreterInnen haben sich weniger mit inhaltlicher Kritik auseinandersetzen müssen (was sehr schön gewesen wäre), sondern sahen sich vielmehr dem Einwand ausgesetzt: Das darfst du nicht sagen. Mit Verlaub, aber seit wann darf jemand, der in ein Amt gewählt wurde, nicht mehr seine eigene (!) Meinung äußern? Diejenigen die das anzweifeln, müssten alsbald die Frage beantworten, wie sie weiterhin Menschen gewinnen wollen, sich in Funktionen und Ämter wählen zu lassen, wenn sie im Anschluss mit einem verordneten Maulkorb rechnen müssen. Für die Parteienpolitik ist es derzeit schon schwer genug Nachwuchs zu gewinnen, greift das Phänomen des Meinung-verbieten-wollens weiterhin um sich, dürfte es noch schwieriger werden. Das kann nicht in unserem Sinne sein! Grüne Politik zeichnet sich doch eben durch Meinungsvielfalt aus, das heißt aber auch, unterschiedliche Meinungen zuzulassen, sich inhaltlich darauf einzulassen und schließlich auch Verschiedenheiten auszuhalten. Ich hoffe sehr, dass uns dies in zwei Wochen in Hamburg gelingen wird.

Noch eine Anmerkung zu den umstrittensten Meinungsfällen dieser Woche: Ich bin bisher in den seltensten Fällen mit Joachim Gauck oder Wolf Biermann einer Meinung gewesen. Na und? Ich erwarte nicht, dass sie meine Meinung in allen Fällen teilen. Ich erwarte nicht, dass sie nur verkünd(ig)en, was ich so denke. ABER in einem Punkt kann ich beiden folgen, dass sie nicht bereit sind, den vom Sozialismus verordneten Maulkorb einzutauschen gegen einen neuen formalen, der sich vermeintlich in Geschäftsordnungen und Amtsbeschreibungen demokratischer Institutionen hineinlesen lässt.

Also lasst uns das Jubiläum um den 9. November 1989 feiern, in dem wir sagen, was wir wollen – denn die gute Nachricht oder – wem's gefällt – frohe Botschaft ist: Wir dürfen das!